Neuanfang von Kirche (ursprüngliche „Langform“)

Neuanfang: Darüber denkt man nach, wenn man den Eindruck hat, dass das, was einmal einen Anfang gehabt hat, so gründlich schief gelaufen ist, dass keine Reparaturen und keine Korrekturen mehr dafür sorgen können, dass das geschieht, was eigentlich einmal beabsichtigt worden war, sodass nur ein Neustart helfen kann.

Befindet sich unsere Kirche tatsächlich in einer so verfahrenen Lage, und wenn es so ist: Wie konnte es dazu kommen?

 

Wenn man den Weg der Kirche betrachtet,  den sie im Verlauf der 2000 Jahre ihres Bestehens genommen hat, stellt man sehr schnell fest, wie viele Elemente im Laufe der Zeit aus den unterschiedlichen Kulturen und ihren jeweiligen „Zeitgeistern“ mit hineingenommen worden sind und wie weit sie sich dadurch von den Anfängen und ihren eigentlichen Grundlagen entfernt hat.

 

Jesus verkündete das Reich Gottes, und gekommen ist die Kirche.

Aus der lebendigen Gruppe derer, die mit Jesus durch die Lande gezogen sind, die sich haben begeistern lassen für seine Reich-Gottes-Botschaft und die nach seinem Tod am Kreuz diese Botschaft weitergetragen haben, ist ein recht starres System geworden, das sich Regeln und Statuten gegeben hat, die teilweise in direktem Widerspruch zu dem stehen, was anfangs das Miteinander bestimmt hat.

 

Es entwickelte sich schon in den ersten Jahrhunderten ein Zwei-Klassen-System: der Klerus (die, die die anderen belehren und lenken durften ) und die Laien  (die sich führen und belehren lassen sollten). Aus den Ältesten der frühen Gemeinden, den Presbytern oder Episkopen und den Männern und Frauen, die verschiedene Dienste übernahmen (Diakone) wurden Ämter mit eindeutigen Berechtigungen. Frauen wurden zunehmend verdrängt und viele Jahrhunderte später  wurde dann durch das Zölibatsgesetz auch der Kreis der Männer, die Teil des Klerus werden konnten, sehr eingeschränkt.

In der Kirche entwickelten sich Hierarchien (heilige (?) Herrschaftsverhältnisse) Es entstand das Priesterbild eines fern von den Gläubigen und über ihnen stehenden Wesens. Dem Priester wurden quasi-magische Fähigkeiten zugeschrieben, denn er konnte – so verstand man es –  das Brot „wandeln“ in den Leib Christi und er murmelte dazu geheimnisvolle lateinische Worte „hoc est corpus...“, die dann als „Hokuspokus“ zur Zauberformel auch für andere Gelegenheiten gebraucht wurde.

Der heilige Pfarrer von Ars schrieb über den Priester:  „Nach Gott ist der Priester alles! Erst im Himmel wird er sich selbst recht verstehen. – Wenn wir recht begreifen würden, was ein Priester auf Erden ist, würden wir sterben: nicht vor Schreck, sondern aus Liebe. Ohne den Priester würden der Tod und das Leiden unseres Herrn zu nichts nützen.“

 

Es wimmelte in der Kirche nur so von hochwürdigen Herren, Eminenzen und Exzellenzen, Monsignori, Prälaten, heiligen Vätern, ….

Es entstanden Abhängigkeitsverhältnisse. So wurde z.B. der „Beichtvater“ vom „Beichtkind“ angesprochen mit „Vater, ich habe gesündigt...“ und dieses erhielt dann die Anweisung „Mein Sohn / meine Tochter, zur Buße bete….  Bis heute ist der Ordenspriester in der Regel der „Pater“.

 

 

Mt 23, 8 Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. 9 Auch sollt ihr niemanden auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel. 10 Auch sollt ihr euch nicht Lehrer nennen lassen; denn nur einer ist euer Lehrer, Christus. 11 Der Größte von euch soll euer Diener sein.

Die Kirchenfürsten waren oft in gleicher Weise Herrscher wie die weltlichen Fürsten und übten Macht aus gegenüber den Gläubigen.

Es wurde ein Kirchenrecht etabliert und den Menschen wurden durch viele bis ins Kleinste gehende Vorschriften Lasten auferlegt, die oft schwer zu tragen waren. Es wurde mit zeitlichen und ewigen Sündenstrafen gedroht, um die Menschen zum Gehorsam zu bringen, und die Menschen gehorchten, weil sie Angst hatten vor der ewigen Verdammnis.

 

Mk 10, 42 Da rief Jesus sie zu sich und sagte: Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und ihre Großen ihre Macht gegen sie gebrauchen. 43 Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, 44 und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.

 

Als das Christentum Staatsreligion wurde, gehörten zur Kirche zunehmend Menschen, die sich nicht wirklich für ein Leben in der Nachfolge Jesu entschieden hatten. Auch die meisten der heute lebenden Christen sind in eine Kirche hinein getauft worden, ohne dass man sie gefragt hat, und viele haben niemals tatsächlich in ihr Wurzeln schlagen können.

 

Zu allen Zeiten hat es natürlich auch Menschen gegeben, die versucht haben, ihr Christsein so zu leben, wie es der Intention Jesu entspricht, Menschen, die sich z.B. in Orden zusammengeschlossen haben um das gemeinsam zu versuchen, und es ist ihnen auch mehr oder weniger gelungen. Aber auch diese Menschen machten die Erfahrung, dass es nach einer gewissen Zeit immer wieder Entwicklungen gab, die in die falsche Richtung führten, sodass immer wieder Neuanfänge nötig wurden (z.B. durch Reformorden).

 

Auch die Reformation, aus der die evangelischen Kirchen entstanden sind, war ein Neuanfang, der seinen Grund hat in den Fehlentwicklungen und Missständen der Kirche.

 

In den liturgischen Texten und auch in manchen Liedern hat sich im Laufe der Zeit eine Art des Sprechens entwickelt, die nur noch von Insidern verstanden werden kann. Was soll ein Mensch unserer Tage verstehen, wenn er in der Präfation hört , dass „Maria in unversehrter Jungfräulichkeit der Welt den Erlöser geboren hat“,  oder woran denkt er, wenn er singen soll „Gut, Blut und Leben will ich dir geben.  Alles, was immer ich hab, was ich bin, geb ich mit Freuden Maria dir hin.“?

Wie soll er die ganz anderen Weltbildern entnommenen mythischen Bilder des Glaubensbekenntnisses deuten? Schließlich hat er doch oft genug in Predigten erlebt, dass bei vielen biblische Texten die literarischen Gattungen und der ursprüngliche Sitz im Leben nicht berücksichtigt wurden. So wurden Menschen dazu angeleitet, bildhafte Aussagen (z.B. in Wunderberichten oder in den Kindheitserzählungen) wörtlich zu verstehen, sodass ihre eigentliche Botschaft gar nicht deutlich werden konnte.

 

Wie sollte ein Mensch von heute davon ausgehen können, dass eine Kirche, die in einer vorgestrigen Sprache, in Bildern, Mythen und Symbolen zu ihm spricht, ihm in seinen heutigen Fragen und Problemen überhaupt eine Antwort geben und ihm eine Hilfe sein könnte? Lässt sich die Botschaft nicht in einer für alle verständlichen Weise transportieren?

 

Man könnte noch lange fortfahren mit dem Aufzählen all der Dinge, die die Kirche von der ursprünglichen Richtung abgebracht hat. Doch das hilft uns nur bedingt weiter. Das System Kirche, so wie es heute existiert, tut sich ungeheuer schwer mit dringend notwendigen grundlegenden Reformen. Alles soll immer weltweit Geltung haben, unabhängig von den großen Unterschieden in den jeweiligen Kulturen.

 

Die Zeiten haben sich geändert. Die Menschen gehören nicht mehr selbstverständlich zu einer Kirche, in die sie einmal als Kinder hinein getauft worden sind.  Sie sind aus ihrer Unmündigkeit erwacht, wagen es, selbst zu denken und stellen fest, wo die Praxis der Kirche nicht mit ihren Grundlagen übereinstimmt, wo Theorie und Praxis auseinanderklaffen und wo Wasser gepredigt und Wein getrunken wird, und nicht wenige verlassen deshalb diese Kirche. Sie verlassen sie sogar manchmal, um ihren Glauben ohne systemische Störungen leben zu können, weil sie die Diskrepanz zwischen dem, was sie vom Evangelium verstanden haben und der Art und Weise, wie die Botschaft Jesu in der Kirche „verwaltet“ und „verrechtlicht“  wird, nicht mehr aushalten.

 

 

Jesus hat keine strukturierte Kirche gegründet. Er selbst lebte vermutlich wie viele seiner Zeitgenossen in der Vorstellung, die Welt befinde sich in der Endzeit, und in einer solchen kommt es auf wichtigere Dinge an als auf Strukturen. Er wollte begeistern für seine Gottesvision, den liebenden Vater im Gegensatz zum Bild vom strengen Richter, einen Vater, der die Arme offen hat für jeden, der sich an ihn wendet und seine Hoffnung auf ihn setzt. Er wollte die Grundlagen eines Lebens mit Gott schon hier und jetzt Wirklichkeit werden lassen in einem geschwisterlichen Miteinander aller. Er wollte die Menschen aus ihren unheilen Lebenssituationen herausholen und ihnen den Weg zum Heilwerden zeigen.

 

Hier müssen wir ansetzen, wenn wir neu anfangen wollen. Die geschwisterliche Gemeinschaft von Menschen, die sich auf diesen Jesus-Weg einlassen wollen, ist Kirche (Kyriakon = zum Herrn gehörend), und jedes kirchliche System hat nur insofern eine Daseinsberechtigung als es diese Menschen unterstützt, ihnen hilft, diesen Weg zu beschreiten und Strukturen schafft, die ihr Miteinander im Glauben fördert. Wir brauchen dazu keine Ämter, sondern Dienste, die von denen wahrgenommen werden, die (von Gottes Geist) die Begabungen dazu erhalten haben.

 

 

1 Kor 12,7 Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt. 8 Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem anderen durch denselben Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, 9 einem anderen in demselben Geist Glaubenskraft, einem anderen - immer in dem einen Geist - die Gabe, Krankheiten zu heilen, 10 einem anderen Kräfte, Machttaten zu wirken, einem anderen prophetisches Reden, einem anderen die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden, wieder einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede, einem anderen schließlich die Gabe, sie zu übersetzen. 11 Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu, wie er will.

 

Strukturen bieten Räume, die mit lebendigem Geist gefüllt werden müssen, mit dem Geist, der jeden von uns beruft und befähigt, sich einzubringen zum Nutzen aller. Wenn wir darauf warten, dass uns das Wehen des Heiligen Geistes, die Lebendigkeit, die wir uns in der Kirche wünschen, über hierarchische Kanäle erreicht, stehen die Chancen schlecht. Wir alle müssen uns öffnen und einlassen auf das Abenteuer Gottes mir seiner Welt. Der Geist weht, wo er will. Lassen wir uns von ihm die Wege zeigen, die wir miteinander gehen müssen.

 

Herr, erwecke deine Kirche

und fange bei mir an.

Herr, baue deine Gemeinde

und fange bei mir an.

Herr, lass Frieden überall auf Erden kommen

und fange bei mir an.

Herr bringe deine Liebe und Wahrheit

zu allen Menschen

und fange bei mir an.

 

Ursula Weinbrenner